null Kinderarmut 2: Ursachen für gesundheitliche Ungleichheit vor allem strukturell

Kinderarmut 2: Ursachen für gesundheitliche Ungleichheit vor allem strukturell

Ausschlaggebend sind schlechte Wohnverhältnisse, Mobbing und Stress - Einführung einer Kindergrundsicherung in Österreich gefordert

Als häufigste Ursache für die gesundheitliche Ungleichheit wird von den befragten Ärztinnen und Ärzten der strukturelle Mangel von gesundheitsfördernden Lebensumständen benannt. 82 Prozent sagen, Kinder sind aufgrund der psychosomatischen Folgen der Armutslage – etwa schlechte Wohnverhältnisse, wie Schimmel oder Kälte, aber auch Mobbing und Stress – häufiger krank. Bei den Kinderärzten nennen gar 89 Prozent diese Ursache. Der permanente existentielle Stress, den armutsbetroffene Kinder und Jugendliche tagtäglich erleben, schädigt also nach Einschätzung der Befragten massiv die Gesundheit der Kinder. 

Auf Platz zwei und drei der Ursachen für häufigere Krankheit werden „Hohe Kosten für gesunde Ernährung“ (54 Prozent) und „Fehlende bewegungs-/entwicklungsfördernde Angebote im Kleinkindalter“ (53 Prozent) genannt. In etwa ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte nennt weiters Diskriminierungserfahrungen als Grund für die häufigeren Erkrankungen. Diese Einschätzung teilen vor allem Kinder- und Jugendpsychiater (27 Prozent), die mehr Zeit für Gespräche mit ihren Patientinnen und Patienten haben als andere Fachrichtungen.

Die Frage, ob in der beruflichen Praxis bei Kindern aus armutsgefährdeten Familien vermehrt psychosomatische Belastungen beobachtet werden, bejahen drei Viertel der Befragten (41 Prozent „häufig“, 37 Prozent „manchmal“). Die Gruppe der Kinderärzte, die an der Umfrage teilnahm, bestätigt dies mit 90 Prozent noch einmal deutlich stärker (62 Prozent „häufig“, 28 Prozent „manchmal“).

Die Corona-Krise als besondere Belastung

Zwei Drittel (66 Prozent) sagen, dass armutsbetroffene Kinder stärker von Bewegungsmangel durch die Corona-Krise betroffen sind, wobei die Zahlen für Wien (82 Prozent) besonders hoch sind. Bei den Kinderärzten geben das österreichweit 82 Prozent an, bei den Wiener Kinderärzten sind es sogar 90 Prozent.

85 Prozent der befragten Medizinerinnen und Mediziner gaben an, dass armutsbetroffene Kinder in ihrer Wahrnehmung in der Corona-Krise stärker psychisch belastet wurden als Kinder aus finanziell gut abgesicherten Familien. Bei Kinderärzten sowie Kinder- und Jugendpsychiatern sind es sogar 91 Prozent, die diese Einschätzung teilen. Es verwundert daher nicht, dass Ärztinnen und Ärzte unter anderem einen Ausbau an Psychotherapieplätzen fordern.

Sechs von zehn Befragten bemerken in ihrer beruflichen Praxis bei Armutsbetroffenen zudem einen schlechteren Gesundheitszustand schon im Säuglings- und Kleinkindalter. Rechnet man nur jene mit einer eindeutigen Angabe heraus, sind es 82 Prozent, also acht von zehn Ärztinnen und Ärzten, die gesundheitliche Nachteile schon im Kleinkindalter sehen. Auch 83 Prozent der befragten Kinderärzte liegen bei dieser Einschätzung. Genannt werden unter anderem Entwicklungsverzögerungen im sprachlichen und motorischen Bereich. Die Volkshilfe fordert in diesem Zusammenhang den massiven Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen für alle Altersgruppen und den Ausbau an niederschwelligen, kostenfreien Angeboten für Eltern und Kleinkinder. Dieses Ergebnis verweist auch auf den Bedarf, hier weitere Forschungsergebnisse zu generieren.

Starke finanzielle Absicherung notwendig

Abschließend wurde gefragt, welche Maßnahmen die Medizinerinnen und Mediziner für besonders wichtig halten, um den Gesundheitszustand armutsbetroffener Kinder abzusichern. Zu den Top vier gehören hier für die Befragten ausreichend kostenlose Therapieplätze für Kinder bei medizinischer Indikation (66 Prozent), kostenfreie Maßnahmen zur Mund-, und Zahngesundheit für alle unter 18 Jahren (61 Prozent), die rasche Erweiterung der Krankenkassenplätze für Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen (54 Prozent) sowie die Reform beziehungsweise der Ausbau der Kassenverträge im Bereich der Kinder- und Jugendheilkunde. Aber auch den Ausbau der Gesundheitsbetreuung an Schulen nennt eine Mehrheit (50 Prozent) als besonders wichtige Maßnahme.

76 Prozent der Befragten sagen auch, dass es eine starke finanzielle Absicherung von Kindern und Jugendlichen braucht, um gesundheitliche Ungleichheit auszugleichen.

Daraus dir Schlussfolgerungen von Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger: „Wir wissen aus unserer Forschung, dass eine Kindergrundsicherung wirkt und die gesundheitlichen Belastungen und Symptome der Kinder durch die nachhaltige finanzielle Sicherung deutlich abnehmen. Dass auch die Mehrheit der befragten Ärztinnen und Ärzte eine starke finanzielle Absicherung fordert, bestätigt unseren Weg im Kampf gegen Kinderarmut und für die Einführung einer Kindergrundsicherung in Österreich.“ (hpp/rs)