Armut macht krank: Umfrage zu Kindergesundheit & Armut

 

Armut macht krank: Umfrage zu Kindergesundheit & Armut

Wien, 24. Oktober 2019 – Die Volkshilfe Österreich und die Ärztekammer für Wien haben gemeinsam Ärztinnen und Ärzte zum Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Kindergesundheit befragt. An den Interviews nahmen mehr als 500 Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen teil. Ausgewertet wurden die Antworten vom Forschungsinstitut SORA.

Die Ärztinnen und Ärzte wurden gefragt, wie sie die gesundheitliche Situation von armutsgefährdeten Kindern im Vergleich zu nicht armutsgefährdeten Kindern einschätzen und welche Maßnahmen sie für eine Sicherung der Kindergesundheit in Österreich für sinnvoll halten.

Als ernüchterndes Gesamtergebnis der Befragung teilt die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte die Einschätzung, dass Armutsbetroffenheit im Kindesalter zu deutlich höheren Gesundheitsrisiken führt.

„Im 21. Jahrhundert sollte Kinderarmut in Österreich kein Thema mehr sein. Doch leider ist dem nicht so. Kinderarmut verschwindet nicht, vielmehr ist es umgekehrt, sie wächst", warnt Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen und Wiener Ärztekammer. Allein die Tatsache, dass fast 400.000 Kinder und Jugendliche in Österreich als armutsgefährdet gelten, sei ein Warnsignal, allen voran an die Politik. Szekeres: „Die armen Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen. Kinder, die in Armut leben, erkranken öfter, zeigen vermehrt Störungen in ihrer Entwicklung, erkranken häufiger psychisch, neigen durch schlechtere Ernährung vermehrt zu Adipositas und anderen Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Haltungsschäden, sterben um fünf bis acht Jahre früher als die Durchschnittsbevölkerung und sind stärker suizidgefährdet."

Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich, ergänzt dazu: „Die Volkshilfe beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Kinderarmut. In Armut aufwachsen bedeutet nicht nur, dass es Kindern an materiellen Dingen mangelt. Es bedeutet auch, mit einem geringeren Geburtsgewicht zur Welt zu kommen, bei Schuleintritt eine geringere Körpergröße zu haben und häufiger in Unfälle verwickelt zu sein. Das wissen wir aus unterschiedlichen Studien. In der gemeinsamen Umfrage mit der Ärztekammer wollten wir erfahren, welche Beobachtungen Ärztinnen und Ärzte in ihrer täglichen Praxis in Österreich dazu machen."

Kinderarmut schadet dem Körper und belastet die Seele

Knapp die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte nimmt in ihrer beruflichen Praxis wahr, dass Kinder aus armutsgefährdeten Familien häufiger Arztordinationen besuchen als Kinder, die in nicht armutsgefährdeten Familien aufwachsen.

Eine deutliche Mehrheit beobachtet auch, dass sich armutsgefährdete Kinder weniger gesund und leistungsfähig fühlen.

Acht von zehn Befragten erkennen in ihrer täglichen Arbeit, dass Kinder aus armutsgefährdeten Familien häufiger an mangelnder körperlicher Fitness leiden.

Diese Kinder leiden auch deutlich häufiger unter psychosomatischen Symptomen, wie zum Beispiel verminderter Konzentrationsfähigkeit, erhöhter Müdigkeit, Nervosität, Aggressivität oder depressivem Verhalten.

Kinderarmut fördert Übergewicht und chronische Krankheiten 

Nahezu alle befragten Ärztinnen und Ärzte stellen die Tendenz zu häufigerem Übergewicht bei Kindern aus armutsgefährdeten Familien fest. Die Mehrheit der Befragten sieht darin vielfältige Ursachen, aber etwa jede/r dritte Befragte identifiziert die Ursache mit mangelnder Information über gesunde Ernährung einerseits und mit den höheren Kosten für gesunde Ernährung andererseits.

Sechs von zehn Ärztinnen und Ärzten beantworten zudem die Frage, ob Kinder aus armutsgefährdeten Familien häufiger an chronischen Krankheiten leiden, eindeutig mit ja. Chronischen Erkrankungen bei Kindern vorbeugen kann man aus Sicht der Befragten einerseits durch mehr Beratung der Eltern und Bewusstseinsbildungsprogrammen an Schulen, wie zum Beispiel mit Kursen zu gesunder Ernährung. Andererseits hält auch knapp die Hälfte der Befragten eine ausreichende finanzielle Ausstattung von armutsgefährdeten Familien für notwendig, um chronischen Krankheiten vorzubeugen.

Wie Kindergesundheit in Österreich für alle gesichert werden kann

Gefragt, was es braucht, um Kindergesundheit für alle in Österreich zu sichern, wurden von den Ärztinnen und Ärzten vorrangig Beratung und Aufklärung genannt, darunter eine bessere Beratung und Aufklärung der Eltern (21 Prozent), mehr Aufklärung zu Gesundheit, Bewegung und Ernährung allgemein (12 Prozent), verstärkte Aufklärung und Präventionsarbeit in Schulen und Kindergärten sowie mehr Bewegungs- und Sportprogramme (jeweils 10 Prozent). Neben dem Ausbau der Beratung dreht sich ein zweites Ideenbündel um Maßnahmen, die direkt oder indirekt mit finanziellen Ressourcen zusammenhängen: eine bessere finanzielle Unterstützung und soziale Absicherung der Familien (15 Prozent), kostengünstigere gesunde Ernährung, wie zum Beispiel die gesunde Jause als Angebot der Schulen (7 Prozent), Ganztagesbetreuung der Kinder (4 Prozent) sowie kostenfreie Therapien (4 Prozent) und kostenfreie Freizeitangebote (3 Prozent). Als weitere Maßnahmen werden der Ausbau von medizinischen Einrichtungen und die Aufstockung von medizinischem Personal, wie zum Beispiel mehr Kinderärzte (10 Prozent), sowie die Ausweitung der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung (5 Prozent) vorgeschlagen.

Forderungen an die Politik

„Die Ärztinnen und Ärzte haben in der Umfrage neben Prävention und Beratung besonders die finanzielle Unterstützung von Familien als wichtigstes Instrument zur gesundheitlichen Stärkung von Kindern genannt. Das bestätigt uns in unserer Forderung nach einer staatlichen Kindergrundsicherung, die eine flächendeckende Gesundheitsförderung aller Kinder garantiert, unabhängig vom Einkommen der Eltern", betont Fenninger.

Und abschließend der Appell von Ärztekammerpräsident Szekeres an die künftige Bundesregierung: „Bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf läuft Österreich hinter vergleichbaren Ländern wie der Schweiz oder Deutschland hinterher. Im Sinne eines sozialen Gesundheitssystems für alle, insbesondere für jene von Armut und Ausgrenzung betroffenen Österreicherinnen und Österreicher, ist die Politik gefordert, mehr in Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung zu investieren."

Kontakt für Journalisten-Rückfragen:

Bernhard Salzer
Ärztekammer für Wien
Abteilung Medien und Fortbildung
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Ruth Schink
Volkshilfe Österreich
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