Die Lehren aus Corona und was es zu verbessern gilt
ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres
Präsident der Ärztekammer für Wien
-
Der Shutdown war rechtzeitig und gut.
Die Maßnahmen, die in Österreich im Zuge der Corona-Pandemie gesetzt wurden, waren aus medizinischer Sicht gut und auch noch zum rechtzeitigen Zeitpunkt. Durch das schnelle Reagieren der Behörden, die Maßnahmen und Empfehlungen, an die sich die Österreicherinnen und Österreicher zumindest in der Phase des Shutdown sehr genau auch gehalten haben – darauf komme ich noch zu sprechen – ist die richtige Wirkung erzielt worden, mit relativ wenig Infektionen und letztendlich auch wenigen Toten. Im internationalen Vergleich ist Österreich somit gut ausgestiegen und wir sind weltweit gesehen sicher auch ein Vorzeigeland.
-
Offizielle Zahlen des Gesundheitsministeriums (Stand: 18.5.2020, 8.00 Uhr)
Aktuell Erkrankte Österreich: 1.050 (Wien: 617)
Positiv Getestete: 16.179 (Wien: 2.914)
Genesene: 14.563 (Wien: 2.199)
Tote: 596 (Wien: 145)
Quelle: https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard.html?l=de
Diese – bei aller Tragik der einzelnen Fälle – „niedrigen Zahlen“ sind den gesetzten Maßnahmen und auch dem Einsatz des gesamten Gesundheitspersonals zu verdanken. Bei diesem – insbesonders bei allen Ärztinnen und Ärzten als deren Standesvertretung – wollen wir uns für den Einsatz unter widrigen Umständen und ständig unter der Gefahr der persönlichen Gefährdung bedanken.
Besonders positiv aus Wiener Sicht war sicherlich die Performance des Ärztefunkdiensts von Beginn der Krise an. Vor allem das Homesampling ist dabei hervorzuheben – darauf wird Vizepräsident Steinhart dann noch näher eingehen.
Unser spezieller Dank gilt daher natürlich allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen, die für den Ärztefunkdienst, neben ihren Tätigkeiten in Ordinationen oder Spitälern, gefahren sind. Hier möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Ärztekammer nach massiven Anlaufschwierigkeiten in gemeinsamer hervorragender Kooperation mit der Stadt Wien die nötige Schutzausrüstung der Ärzteschaft in den Ordinationen organisiert und verteilt.
Nachdem vor allem am Beginn der Krise alle öffentlichen Stellen (Bund, Länder und Sozialversicherung) Probleme bei der Beschaffung hatten, haben wir auch in Eigeninitiative am Weltmarkt Schutzausrüstungen eingekauft und damit in Wien die größten Engpässe beseitigt. Seit Wochen verteilen wir kostenlos an die Wiener Ärztinnen und Ärzte Schutzmasken, Schutzausrüstungen (Kittel), Desinfektionsmittel, Handschuhe, Brillen und vieles mehr – ein Service, das enorm in Anspruch genommen wird: Mehr als 5.000 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie deren Mitarbeiter erhalten über diesen Weg ihre Schutzausrüstung. In diesem Zusammenhang fordere ich die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass für den Fall einer neuerlichen Pandemie rechtzeitig genügend Schutzausrüstung für das gesamte österreichische Gesundheitspersonal angeschafft und in allen Bundesländern dezentral gelagert wird.
Zusätzlich fordere ich eine regelmäßig tagende Taskforce (halbjährlich), bestehend aus Vertretern der Bundesregierung, Länder, Sozialpartner, Gesundheitsberufe, Polizei und des Bundesheers, um den Stand und die Maßnahmen für den Fall einer Pandemie zu evaluieren.
-
Nach dem Shutdown ist hoffentlich nicht vor dem nächsten Shutdown
Leider begreifen viele Mitbürger nicht, dass der Shutdown und die damit verbundenen Maßnahmen und Empfehlungen zur Einschränkung auch des sozialen Lebens notwendig waren und nur dadurch die Infiziertenzahlen relativ moderat ausfielen. Die Meinung „Es ist ja eh nicht viel passiert, darum war alles unnötig“, ist fatal und hat leider zur Folge, dass etliche Menschen glauben, mit der jetzigen Öffnung ist alles wieder wie früher.
Lockerungen bedeuten nicht, dass sich das Virus plötzlich verflüchtigt hätte und alles wieder gut ist. Denn nach wie vor gilt, dass wir Abstand halten müssen, dass wir für eine regelmäßige Handhygiene sorgen müssen, dass wir Rücksicht auf andere nehmen müssen. Denn mit der Öffnung und der Lockerung der Maßnahmen ist mit einem Wiederanstieg von Corona-Erkrankungen zu rechnen. Daraus soll aber nicht gleich eine zweite Welle werden.
Nach dem aktuellen Shutdown darf es nicht sofort zum nächsten Shutdown kommen! Daher müssen wir die Öffentlichkeit weiterhin auffordern, nicht unvorsichtig zu sein, solange es keinen Impfstoff oder bessere Therapiemöglichkeiten gibt – und darauf werden wir noch einige Zeit warten müssen. Sicherheitsmaßnahmen, Selbstdisziplin und die Verinnerlichung des Abstandhaltens sind wichtiger denn je. Letztendlich ist jeder Einzelne aufgerufen, vernünftig zu handeln.
Die Ärztekammer ist im regelmäßigen kollegialen Austausch mit vielen Kolleginnen und Kollegen, die bei der Therapie an vorderster Front stehen. Wir haben auch der Stadt Wien ein Konzept vorgeschlagen, das die positiv Getesteten nach ihrer Genesung zur Plasmaspende aufruft. Die Gabe von Blutplasma ist eine der derzeit erfolgversprechendsten Therapieansätze.
Auch in der Testung hat die Ärzteschaft massiv dazu beigetragen, dass die Kapazitäten der PCR-Testung erhöht werden konnten. Jetzt gibt es gute Antikörpertests, die hoffentlich auch bald flächendeckend den Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen.
Bei den diversen Therapiediskussionen muss man immer im Auge haben, dass es in der Medizin sehr strenge Regelungen gibt, was wann und wie bei einem Patienten eingesetzt werden darf und auch wie Studien abzulaufen haben. Auch wenn der öffentliche Druck sehr hoch ist, sind diese Standards auch bei der Entwicklung von Therapien oder Impfstoffen gegen Covid-19 zu beachten.
-
Trotz Corona nicht auf nächste Grippewelle vergessen
Corona wird uns in jedem Fall noch länger begleiten und im Herbst möglicherweise noch einmal verstärkt auftreten. Eines dürfen wir aber trotzdem nicht vergessen: dass im Spätherbst auch die nächste Grippewelle anrollen wird. Gerade deswegen ist es besonders wichtig, dass sich vor der nächsten Influenza-Saison möglichst viele Österreicherinnen und Österreicher gegen Grippe impfen lassen, damit gegebenenfalls auch genügend Intensivbetten in den Spitälern für an Covid-19 erkrankten Patientinnen und Patienten vorhanden sind. Die Gesundheitsbehörden sind diesbezüglich aufgefordert, schon jetzt dafür zu sorgen, dass genügend Impfstoffe vorhanden sind, damit es zukünftig zu keinem Versorgungsengpass bei Grippeimpfstoffen kommt.
Bei der Influenza-Durchimpfungsrate gehört Österreich mit nur knapp 10 Prozent leider zu den europäischen Schlusslichtern. Es sollten sich viel mehr Menschen gegen Grippe impfen lassen.
Hier sind die Bundesregierung, die Sozialversicherung und auch die Länder gefordert, ausreichend Impfstoffe am Weltmarkt zu besorgen sowie auch die Impfung durch die öffentliche Hand zu fördern, indem diese Impfstoffe, viel mehr als bisher, kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.
-
Ärztinnen und Ärzte müssen für Einsatz entschädigt werden
Worauf wir achten und es auch von der Politik einfordern – auch in Hinblick darauf, dass es zu einer zweiten Corona-Welle im Herbst kommen könnte: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht dafür büßen, dass sie unter persönlichem Risiko ihre Ordinationen offenhalten mussten und arbeiteten, am Ende des Tages dafür aber sogar zahlen müssen, weil sie weniger Einnahmen hatten und zum Teil auf ihr privates Vermögen zurückgreifen mussten, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Denn zum Unterschied von anderen Branchen mussten Vertragsärzte ihre Ordinationen offenhalten, hatten aber zum Teil um bis zu 90 Prozent weniger Patientenaufkommen.
Das bedeutet auch einen Umsatzrückgang um bis zu 90 Prozent, das aber bei gleichbleibenden laufenden Kosten, wie Ordinationspersonal – in Österreich arbeiten mehr als 25.000 Personen in den Ordinationen -, Ordinationsgeräte, Strom, Miete et cetera. Hier fordern wir von der Politik, dass letztendlich die Republik ausgleichend eingreifen muss, sofern die Sozialversicherungen das nicht machen können. Denn alle erhalten Zuschüsse in Millionenhöhe, für alle gibt es Pakete: für die Gastronomie, für den Handel, die Friseure, die persönlichen Dienstleister. Das ist gut so, es muss aber auch für Ärztinnen und Ärzten gelten.
Gleiches gilt natürlich auch für die Spitalsärzte, deren Einsatz im Rahmen der Corona-Krise, analog zu anderen Branchen, beispielsweise durch die Auszahlung eines steuerfreien 15. Gehalts gewürdigt werden sollte.
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gehören zur kritischen Infrastruktur eines Landes, ganz besonders in einer Gesundheitskrise. Damit kann man von der öffentlichen Hand ganz besonders erwarten, dass die Infrastruktur geschützt, gestärkt und entschädigt wird. Während die Zahlungen der Sozialversicherung für Spitäler ungekürzt weiterlaufen, fehlt bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten eine solche Regelung.
-
Unterstützung für Ärzteschaft – Deutschland zeigt, wie’s geht
Was in Deutschland möglich ist, sollte auch bei uns in Österreich möglich sein. In Deutschland gibt es bereits seit Ende März gesetzlich geregelte Unterstützungsmaßnahmen speziell für Ärztinnen und Ärzte, die von der Corona-Krise betroffen sind. Die Schutzschirmregelung von Gesundheitsminister Jens Spahn gilt für Spitäler und auch für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Mit dem sogenannten „Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz“ vom 25. März 2020 werden die wirtschaftlichen Folgen für Krankenhäuser und Vertragsärzte aufgefangen.
Das Gesetz wurde verabschiedet, um unter anderem wirtschaftliche Schäden für Krankenhäuser durch die Corona-Krise abzumildern:
-
Krankenhäuser erhalten einen finanziellen Ausgleich für verschobene planbare Operationen und Behandlungen, um Kapazitäten für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einer Coronavirus-Infektion frei zu halten. Für jedes Bett, das dadurch im Zeitraum vom 16. März 2020 bis zum 30. September 2020 nicht belegt wird, beziehungsweise für jeden gegenüber dem Vorjahr nicht stationär behandelten Patienten erhalten die Krankenhäuser eine Pauschale in Höhe von 560 Euro pro ausgebliebenem Patient und Tag. Der Ausgleich wird aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds bezahlt und aus dem Bundeshaushalt refinanziert.
-
Krankenhäuser erhalten einen Bonus in Höhe von 50.000 Euro für jedes Intensivbett, das sie zusätzlich schaffen. Die Kosten dafür werden aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert. Darüber hinaus sollen die Länder kurzfristig weitere erforderliche Investitionskosten finanzieren.
-
Für Mehrkosten, insbesondere bei persönlichen Schutzausrüstungen, erhalten Krankenhäuser vom 1. April bis zum 30. Juni 2020 einen Zuschlag je Patient in Höhe von 50 Euro, der bei Bedarf verlängert und erhöht werden kann.
-
Der sogenannte „vorläufige Pflegeentgeltwert“ wird auf 185 Euro erhöht. Das verbessert die Liquidität der Krankenhäuser und wird auch zu erheblichen Zusatzeinnahmen für die Kliniken führen.
-
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeuten werden bei einer zu hohen Umsatzminderung aufgrund einer geringeren Inanspruchnahme durch Patientinnen und Patienten mit Ausgleichszahlungen sowie mit zeitnahen Anpassungen der Honorarverteilung geschützt. Um die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zu entlasten und die Versorgung sicherzustellen, können Vertragsärzte zum Schutz vor einer zu hohen Umsatzminderung aufgrund der Corona-Pandemie Ausgleichszahlungen von den Krankenkassen erhalten. Voraussetzung für eine solche Ausgleichszahlung ist, dass die Minderung mehr als 10 Prozent des Gesamthonorars des Vorjahresquartals ausmacht und in einem Fallzahlrückgang aufgrund einer geringeren Patienteninanspruchnahme als Folge der aktuellen Epidemie begründet ist.
-
Erhöhung der Mittel für das Gesundheitswesen
In den letzten Jahren waren Diskussionen im Gesundheitswesen immer davon geprägt, dass man in diesem Bereich einsparen möchte. Auch dr Anteil am Bruttoinlandsprodukt war rückläufig. Die Krise, die eine Gesundheitskrise war, zeigt ganz deutlich, dass dieser Weg der falsche war.
In das Gesundheitswesen – und dazu gehört auch der Pflegebereich – muss massiv investiert werden, denn die Krise zeigt sehr deutlich: Nur wenn das Gesundheitswesen stark und sicher ist, kann es dazu beitragen, die Menschen zu schützen und auch die Wirtschaft vor massivem Schaden zu bewahren. Zudem ist es ein Sektor, der selbst auch Beschäftigung und Wirtschaftsleistung bringt.
Insofern kann man einen bekannten Satz so umformulieren: „Geht es dem Gesundheitswesen gut, geht es der Wirtschaft gut.“ Man erspart sich nämlich mit einem starken Gesundheitswesen die interessenpolitische Abwägung zwischen Überforderung des Gesundheitswesens und der Wirtschaft.
MR Dr. Johannes Steinhart
Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, und im Besonderen jene unter ihnen, die beim Ärztefunkdienst mitgearbeitet haben, waren und sind in der Corona-Krise eine tragende Säule der Versorgung. Sie haben, in sehr guter Abstimmung mit anderen Wiener Stellen, sehr erfolgreiche Arbeit geleistet, und das an vorderster Front und unter deutlich erschwerten und auch gesundheitlich risikoreichen Bedingungen.
Ich nehme diese Pressekonferenz auch zum Anlass, diesen Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen des Ärztefunkdiensts oder in ihrer Ordination für die Patientinnen und Patienten da waren und so engagiert am Zurückdrängen des SARS-CoV-2 mitgewirkt haben, meinen herzlichen Dank auszusprechen. Sie haben Großartiges geleistet.
Es ist zum Beispiel alles andere als selbstverständlich, dass unter Corona-Bedingungen in Wien in etwa 90 Prozent der kassenärztlichen Ordinationen offengehalten haben - neben zahllosen Wahlarztordinationen. Schließlich machten sehr viele dieser Ordinationen in dieser Zeit trotz anhaltender Kosten wesentlich weniger Umsätze, weil die Patientinnen und Patienten aus Präventionsgründen Ordinationen nur in Notfällen aufsuchen sollten und die Tarifmodelle nicht auf Telemedizin ausgerichtet sind. Trotzdem standen diese Ärztinnen und Ärzte den Menschen, anfangs auch teilweise mit ungenügender Schutzausrüstung, zur Verfügung. Das verdient höchste Anerkennung. Danke dafür.
Aus heutiger Sicht kann man feststellen, dass die enormen gemeinsamen Anstrengungen sehr gut zum gewünschten Erfolg beigetragen haben.
Lassen Sie mich bitte beispielhaft zusammenfassen, welche Leistungen in diesem Zusammenhang von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ärztefunkdienstes erbracht wurden:
-
Der Ärztefunkdienst führte seit dem 28. Februar ein sogenanntes Mobile Home Screening (MHSV) bei Menschen mit Corona-Verdacht zu Hause durch. Zwischen 28. Februar und 9. April wurden seitens des Ärztefunkdiensts insgesamt 9.431 Nasen- beziehungsweise Rachenabstriche durchgeführt - im 24-Stunden-Betrieb sieben Tage pro Woche. Pro 12-Stunden-Dienst konnten durchschnittlich 18 Abstriche durchgeführt werden. Dieses Erfolgsmodell wurde auch von anderen Bundesländern übernommen. Mit 1. April wurde dann die Durchführung eines Großteils dieser Abstriche den Wiener Blaulichtorganisationen unter Koordination des Wiener Roten Kreuzes übertragen.
-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ärztefunkdiensts führen seit 15. März in Abstimmung mit dem Wiener Krankenanstaltenverbund Pre-Triage beziehungsweise Erstversorgungsambulanzen an den Eingängen der Spitäler des Wiener Krankenanstaltenverbunds durch. Wer ein Spital aufsuchen wollte, wurde dort einer kurzen Visite unterzogen, um abzuklären, ob eine Spitalsbehandlung notwendig ist. Zudem wurden Spitalsbesucher auf SARS-CoV-2-Verdacht hin gescreent und Erstbehandlungen außerhalb der versorgungsrelevanten Spitalsinfrastruktur durchgeführt. Pro Tag sind insgesamt 25 Arzt/Studenten-Teams im Zuge der Pre-Triage beziehungsweise Erstversorgungsambulanzen im Einsatz.
-
An Covid-19 erkrankte Menschen in häuslicher Pflege werden seit März 2020 durch die MA 15 mittels Fragebogen über ihren aktuellen Gesundheitszustand befragt. Hat sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert, werden sie seit dem 30. März von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ärztefunkdiensts telemedizinisch per Telefon- beziehungsweise Videokonsultation kontaktiert und beraten. Bei Bedarf wird eine Visite durch den Ärztefunkdienst beziehungsweise ein Einsatz der Berufsrettung eingeleitet.
-
Außerdem wurden Patientinnen und Patienten aufgefordert, Ordinationen nur im Akutfall aufzusuchen, und das erst nach telefonischer Rücksprache. Bei Corona-Verdacht sollten sie nicht zum Hausarzt gehen, sondern 1450 anrufen. Nicht-Akutpatienten konnten sich mit ihrem Arzt per Telefon oder Video austauschen, Rezepte wurden elektronisch ausgestellt und den Apotheken übermittelt. Damit sollten nicht nur Patientinnen und Patienten geschützt, sondern auch Infektionen von Ärztinnen und Ärzten als Schlüsselversorger vermieden werden.
-
Positive Zwischenbilanz
Die Zwischenbilanz, die wir heute ziehen können, ist eine positive, die gesetzten Ziele wurden erreicht. Gerade angesichts des Wiener Großstadtfaktors und den damit einhergehenden wesentlich höheren Risikofaktoren, verglichen mit den anderen Landesteilen Österreichs, steht Wien heute sehr gut da. Wien gilt hier auch im internationalen Vergleich als vorbildlich.
Hervorzuheben ist die sehr gute Zusammenarbeit mit der Stadt Wien und den beteiligten Magistratsabteilungen, dem Wiener Krankenanstaltenverbund, dem Wiener Gesundheitsverbund, dem Fonds Soziales Wien, der Gesundheitshotline 1450, den Labors, den Einsatzorganisationen et cetera. Das ist in einer so herausfordernden und komplexen Situation nicht selbstverständlich.
-
Generelles Hochfahren der Ordinationen
Inzwischen haben wir ein generelles Hochfahren der Ordinationen empfohlen, damit nach einer Periode der Behandlung von ausschließlichen Notfällen die gewohnte Versorgung aller Patientinnen und Patienten wieder sichergestellt wird. Dabei geht es zum Beispiel um Routine-, Kontroll-, Vorsorge- und Nachsorgeuntersuchungen sowie Impfungen.
Wir ersuchen auch alle Wienerinnen und Wiener dringend, die Ordinationen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, wie auch vor Corona üblich, aufzusuchen. Es besteht die enorme Gefahr, dass durch verschleppte Arztbesuche Erkrankungen übersehen oder viel zu spät erkannt werden.
Allerdings müssen die Patientinnen und Patienten dabei Sicherheitsregeln einhalten: Sie sollten weiterhin vorher telefonischen Kontakt mit der Ordination aufnehmen und die vereinbarten Termine pünktlich einhalten. In der Ordination müssen Masken getragen und zumindest ein Meter Abstand zu anderen Personen eingehalten werden.
Jetzt gilt es, durch Appelle an die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise Patientinnen und Patienten die erreichten Erfolge zu halten. Und nachdem die hohe Bedeutung des niedergelassenen ärztlichen Bereichs in der Corona-Krise einmal mehr deutlich geworden ist, muss es ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel sein, die niedergelassene Versorgung für mögliche weitere Wellen von Corona abzusichern.
Dr. Wolfgang Weismüller
Obmann der Kurie angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, und im Besonderen jene unter ihnen, die beim Ärztefunkdienst mitgearbeitet haben,
Ich kann mich in meinen vielen Jahren als Arzt, und auch seit ich mich gesundheitspolitisch in der Ärztekammer engagiere, an keine Phase erinnern, in der Experten eine so unmittelbare Lenkungswirkung auf politische Entscheidungen gehabt haben, wie in den letzten Wochen. Dabei leisten die Ärztinnen und Ärzte das ganze Jahr über Großartiges - nicht nur in diesen Tagen. Und auch ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Kolleginnen und Kollegen in den Spitälern an dieser Stelle für ihren unermüdlichen Einsatz ganz herzlich zu bedanken.
Gerade in den letzten Wochen wurde vielen Menschen erst bewusst, wie wichtig ein intaktes Gesundheitssystem, gut ausgebildetes Personal und vor allem auch genügend Ressourcen in unseren Spitälern sind. Was aber neu - und ganz offen gesagt - auch sehr befremdlich für mich ist, das sind die Diskussionen der letzten Tage. Viele vermeintliche „Gesundheitsexperten“ werden jetzt laut.
Jeder scheint es besser zu wissen. Jeder möchte sich Gehör verschaffen. Doch wollen wir ernsthaft über Einsparungen im Gesundheitssystem inmitten einer Pandemie sprechen? Vor allem, wer sagt denn, dass wir überhaupt Einsparungen benötigen?
Ganz im Gegenteil: Wenn uns Corona etwas aufgezeigt hat, dann, dass wir Investitionen brauchen, denn das System war schon davor am Limit, und hätten wir nicht die gesellschaftlichen Einschneidungen gehabt, wäre es sicherlich kollabiert.
-
Spitäler schon vor der Krise am Limit
An dieser Stelle über Einsparungen im Gesundheitsbereich zu sprechen, ist für mich absolut inakzeptabel. Ich weigere mich, eine Debatte zu führen, die jetzt neoliberale Strömungen in Österreich gerne entfachen würden, damit sich schlussendlich nur noch die Reichen im Land eine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten können. Im Gegenteil: Gerade jetzt müssen wir die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems aufrechterhalten und weiterentwickeln. Nachbessern in jenen Bereichen, wo wir dringenden Bedarf haben.
Wir haben extra Kapazitäten freigehalten und operative Eingriffe aufgeschoben, um diese Krisensituation zu meistern. Und nun ist der Schluss vermeintlicher Gesundheitsexperten, dass wir zu viele Intensivbetten haben?
Es kann doch nicht sein, dass wir uns dafür rechtfertigen müssen, genügend Betten zu haben! Dass wir nicht komplett überlastet waren und bis zum heutigen Zeitpunkt gut durch die Krise gekommen sind. Dass wir gute Voraussetzungen haben, mit einem Krisenszenario zurechtkommen, welches bis zu diesem Zeitpunkt Gott sei Dank (noch) nicht in voller Stärke eingetreten ist.
Wir müssen daher darüber diskutieren, dass die Wiener Spitäler auch schon vor der Krise mit ihren Ressourcen am Anschlag waren. Nur durch den enormen Einsatz und unzählige Überstunden der Ärztinnen und Ärzte konnten wir das System aufrechterhalten. Ich würde gerne in Erinnerung rufen, dass die Arbeitsbedingungen in den Wiener Spitälern alles andere als attraktiv sind. Das ist ein wesentlicher Faktor für den Mangel an zusätzlichen Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegepersonal. Und das auch schon vor Corona.
-
Spitäler: „Neue Normalität“ ist absolut fehl am Platz
Ich weigere mich, den Begriff „Neue Normalität“, der gerade in aller Munde ist, für die Wiener Spitäler zu verwenden. Von neuer Normalität kann und darf bei uns keine Rede sein, denn diese bedeutet für die Kolleginnen und Kollegen in den Spitälern schlicht und ergreifend umso mehr „Arbeiten am Limit“ – überbordende Überstunden, zu viele administrative Tätigkeiten, zu wenig Zeit für Patientinnen und Patienten. All das wurde durch die Corona-Krise nur noch zusätzlich verschärft.
Vergessen wir auch nicht, dass wir bereits davor durch die Stadt Wien 250 zusätzliche Dienstposten zugesagt bekommen hatten, da die Arbeitsverdichtung auch seitens der Stadt erkannt wurde. Und diese 250 Posten sind auch nur ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Darüber müssen wir diskutieren. Und rasch Lösungen finden. Die Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien fordert daher schon lange: Die Arbeitsbedingungen in den Wiener Spitälern müssen besser werden, damit wir die optimale Versorgungssicherheit für unsere Patientinnen und Patienten gewährleisten können – mit und ohne Corona.
Das sogenannte gute „Durchkommen“ durch die Krise haben wir nur dem Einsatz jeder und jedes Einzelnen in den Spitälern zu verdanken. Und ja, wir sind gut durchgekommen. Und ja, darauf dürfen wir auch stolz sein. Unser System, besser gesagt unsere Ärztinnen und Ärzte, die Pflegefachkräfte und viele andere konnten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Situation bisher optimal bewältigen. Das sollte auch belohnt werden, weshalb man die Forderung nach einem zusätzlichen Entgelt in Form eines steuerfreien 15. Gehalts umsetzen sollte.
-
Einmalige Chance, alles besser zu machen
Wir haben jetzt die Chance, die richtigen Schlüsse aus den letzten Wochen zu ziehen. Genau das erwarten wir uns auch von der verantwortlichen Politik. Die langjährigen Forderungen der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien sind mehr denn je aktuell:
-
Aufstockung des Personals nach einheitlichen Kriterien
-
Investitionen in Aus- und Weiterbildung und die Schaffung moderner Arbeitszeitmodelle
-
Investitionen in die Spitalsinfrastruktur (Akut-Infrastruktur-Milliarde für die Spitäler)
-
Entbürokratisierung, damit Spitalsärzte wieder mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten haben
-
genügend Ressourcen- und Ausrüstungskapazitäten; Corona hat gezeigt, es braucht eine gesamtösterreichisch und spitalsübergreifend koordinierte Mittel- und Ressourcenplanung, damit es zu keiner Knappheit bei Desinfektionsmitteln, Schutzausrüstung und Medikamenten kommt
„Eine Krise ist immer auch eine Chance“ ist auch einer jener Sprüche, die in diesen Zeiten gerne beansprucht werden. Ich hoffe, dass wir diese Chance nutzen.
Dass unsere Gesundheitsexpertise ebenso gefragt ist, nachdem wir Covid-19 gemeinsam bewältigt haben (noch ist es nicht so weit). Dass für die Wiener Spitäler die richtigen Schlüsse aus dieser Krise gezogen werden.
Die Lehren aus Corona und Forderungen der Ärztekammer für Wien
-
Eine regelmäßig tagende Taskforce (halbjährlich), bestehend aus Vertretern der Bundesregierung, der Sozialpartner, der Gesundheitsberufe und des Bundesheers, die Stand und Maßnahmen für den Fall einer Pandemie evaluiert.
-
Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass für den Fall einer neuerlichen Pandemie rechtzeitig genügend Schutzausrüstung für das gesamte österreichische Gesundheitspersonal angeschafft und in allen Bundesländern dezentral gelagert wird.
-
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser müssen für Verdienstausfälle beziehungsweise Mehrkosten in der Zeit der Pandemie entschädigt werden – in Anlehnung an das deutsche „Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz“.
-
Die Bevölkerung muss eindrücklich durch öffentliche Kampagnen darauf hingewiesen werden, dass die Sicherheitsmaßnahmen, die während des Shutdowns mehrheitlich eingehalten wurden, auch weiterhin eingehalten werden sollen, um eine wahrscheinliche zweite Welle so gering wie möglich ausfallen zu lassen.
-
In Bezug auf Punkt 4 ist die Bundesregierung aufgefordert, für die im Herbst mit Sicherheit kommende Influenza-Welle genügend Influenza-Impfstoff bereitzuhalten. Gleichzeitig soll eine Werbekampagne für die Influenza-Impfung gestartet werden. Die Influenza-Durchimpfungsrate MUSS von derzeit knapp 10 Prozent dramatisch gesteigert werden. Umso weniger Influenza-Patienten Spitalsbetten belegen, desto mehr Spitalsbetten stehen für die zweite Corona-Welle im Spätherbst zur Verfügung.
-
Die Patientinnen und Patienten sind dazu aufgefordert, aufgrund der Empfehlungen verschobene Routine- oder Kontrolluntersuchungen, verschobene Impfungen oder verschobene kleine Eingriffe wieder bei ihren niedergelassenen Haus- oder Fachärzten nachzuholen. Die Ordinationen stehen für sie wieder in vollem Umfang zur Verfügung.
-
Die Patientinnen und Patienten sind diesbezüglich dazu aufgefordert, beim Besuch der Ordinationen klar definierte Verhaltensregeln einzuhalten: Telefonische Voranmeldung, Schutzmaske in der Ordination, Händewaschen oder –desinfizieren vor der Anmeldung, Abstand zu anderen Patientinnen und Patienten in der Ordination von ein bis zwei Metern, Wartezeiten möglichst außerhalb der Ordination verbringen.
-
Keine Diskussion über weniger Spitalsbetten: Seien wir froh, dass auch während der Pandemie genügend Spitalsbettenkapazitäten vorhanden waren, die aber aufgrund der vorbeugenden Maßnahmen zum Glück nicht benötigt wurden. Bei einem stärkeren Corona-Ausbruch in Österreich wären wir froh über jedes freie Spitalsbett (Negativbeispiel Italien).
-
Die Arbeitsbedingungen in den Wiener Spitälern müssen besser werden, damit die optimale Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten jederzeit gewährleisten ist – mit und ohne Corona.
-
Es braucht auch mehr Investitionen in die Spitalsinfrastruktur sowie eine tatsächliche Entbürokratisierung für alle Ärztinnen und Ärzte, damit sie wieder mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben.
Kontakt für Journalisten-Rückfragen:
Ärztekammer für Wien, Dr. Hans-Peter Petutschnig
Telefon: 01/515 01-1273 DW, 0664/10 14 222
Fax: 01/512 60 23-1273,
E-Mail: mmmaHBwQGFla3dpZW4uYXQ=
online-Medienservice der Ärztekammer für Wien: https://www.aekwien.at/presseaussendungen
Navigationsmenü
- News
- Presseaussendungen
- Pressekonferenzen
- Ärzt*in für Wien (vormals doktorinwien)
- Newsletter-Anmeldung
- Kontakt
- Konzernmedizin verhindern
- Zeitungskiosk