null Gefährlicher Mix: Ärztemangel und zunehmende Arbeitsunzufriedenheit bei Spitalsärzten

 

Gefährlicher Mix: Ärztemangel und zunehmende Arbeitsunzufriedenheit bei Spitalsärzten

Wien, 2. September 2021 – Der Wiener Gesundheitsverbund und die Medizinische Universität Wien mit dem Wiener AKH sind die wichtigsten medizinischen Leistungsträger des Landes und damit maßgeblich an der Vorgabe von Trends im Gesundheitswesen beteiligt. Leider gilt dies auch im umgekehrten Sinn: Rezente Umfragen der Ärztekammer für Wien und des Betriebsrats der Medizinischen Universität Wien zeigen eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die dort arbeitenden Ärztinnen und Ärzte. Zu wenig Zeit für Forschung, zu wenige Investitionen, unbesetzte Stellen und der omnipräsente Personalmangel im gesamten Spitalssystem stellen die Belegschaft vor immense Herausforderungen, die durch die Umfragen erneut sichtbar gemacht wurden, und bestätigen damit einen Trend auf, der nach Ansicht der Ärztekammer auch in den anderen Spitälern auf dem Vormarsch ist.

Mittels der Umfrage wollte der Betriebsrat der Medizinischen Universität Wien erfahren, wie zufrieden die Ärzteschaft mit den aktuellen Arbeitszeiten ist, wie es den Ärztinnen und Ärzten in der Arbeit geht und wie sie die damit einhergehende medizinische Qualität an der Medizinischen Universität Wien bewerten.

Vom Betriebsrat der Medizinischen Universität Wien beauftragt wurde die unabhängige Beratungsfirma career Institut. Insgesamt konnten 1.640 angestellte Kolleginnen und Kollegen elektronisch und anonym teilnehmen. Die Beteiligungsquote betrug 41 Prozent, das entspricht 673 Ärztinnen und Ärzten.

Für Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen und Wiener Ärztekammer, schließt sich mit der Umfrage ein Kreis in der Datenerhebung zum Thema der Arbeitsbedingungen der Spitalsärzteschaft in Wien: „Es ist eindeutig, dass wir massiven Bedarf an Reformen in der Arbeitswelt der Ärzteschaft in den Spitälern haben.“

„Der Ärztemangel ist hausgemacht“, betont Szekeres und führt aus: „Durch die fehlende Attraktivierung des Berufsumfelds wollen immer weniger Ärztinnen und Ärzte bei uns arbeiten. Die Abwanderung nach Deutschland und in andere Länder mit besseren Arbeitsbedingungen ist die logische Konsequenz dessen.“

Durch den Ärztemangel beim Nachwuchs und der Unzufriedenheit der derzeitigen Generationen entsteht nun für Szekeres ein „gefährlicher Mix“, den man „entschärfen“ müsse. Die Umfragen im Wiener Gesundheitsverbund sowie an der Medizinischen Universität Wien könnten hier helfen, „einen Reformprozess anzustoßen“.

„Steigende Unzufriedenheit in der Arbeit“

Und nun zu den Ergebnissen der Umfrage: Bei der Frage, wie es den Kolleginnen und Kollegen in der Arbeit geht, mit einer Auswahl zwischen den drei Ampelfarben „Grün“, „Gelb“, und „Rot“, leuchtet die Ampel an der Medizinischen Universität Wien hauptsächlich in der Warnfarbe „Gelb“, denn mehr als die Hälfte (50,2 Prozent) der Befragten entschied sich dafür. Inklusive derjenigen, die „Rot“ gewählt hatten, kommt man sogar auf 65,4 Prozent, die nicht für „Grün“ stimmten.

Auf die Frage, ob die Ärztinnen und Ärzte an der Medizinischen Universität Wien mit ihrer Arbeit zufrieden seien, zeigte sich fast die Hälfte der Befragten (44 Prozent) „unzufrieden“ oder sogar „sehr unzufrieden“. Lediglich 14,5 Prozent sind derzeit an ihrem Arbeitsplatz „sehr zufrieden“.

„Die Warnung der steigenden Unzufriedenheit in der Arbeit ist ernst“, resümiert Johannes Kastner, Vorsitzender des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal der Medizinischen Universität Wien. „Wenn knapp zwei Drittel unserer Kolleginnen und Kollegen sagen, dass es ihnen in der Arbeit nicht gut geht, dann haben sie uns ein eindeutiges Zeichen gegeben – es muss sofort gegengesteuert werden.“

Für die Medizinerinnen und Mediziner sieht es auch bei den Wissenschaftszeiten eher nüchtern aus: Knapp drei Viertel (74 Prozent) sind entweder „unzufrieden“ oder „gar unzufrieden“ mit ihrer verfügbaren Zeit für Lehre und Forschung. „Wenn wir weiterhin Spitzenmedizin und Forschung auf hohem Niveau betreiben wollen, dann muss sich etwas ändern“, so Kastner.

Noch würde sich das laut der Umfrage nicht auf die Qualität der medizinischen Leistungen auswirken, denn 72,4 Prozent der Befragten attestieren der Medizinischen Universität beziehungsweise dem AKH eine sehr gute oder gute Qualität, aber: „Wenn die Unzufriedenheit weiter auf diesem Niveau bleibt, dann wird irgendwann die Patientenbetreuung darunter zu leiden beginnen“, warnt Kastner.

Alle Wiener Spitäler betroffen

„Wir haben in ganz Wien mit der Umfrage in allen Wiener Spitälern ein ähnliches Bild skizziert bekommen“, kommentiert Gerald Gingold, Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, die Ergebnisse der Medizinischen Universität. „Unsere Kolleginnen und Kollegen sind extrem überlastet, und die Pandemie hat diese Entwicklungen nur verstärkt und beschleunigt.“

In der Umfrage vom April 2021 gaben mehr als die Hälfte (53 Prozent) an, sie fühlen sich „oft“ oder „sehr oft“ emotional erschöpft, fast ident hoch (52 Prozent) war die Zahl bei körperlicher Erschöpfung. Mehr als ein Viertel (29 Prozent) fühlte sich „oft“ oder „sehr“ oft im Job alleingelassen, knapp ein Viertel (23 Prozent) fühlte sich geschwächt oder anfällig, selbst krank zu werden. Mehr als die Hälfte hat schon einmal daran gedacht, an einem Burnout zu leiden, 14 Prozent empfanden dies sogar als „oft“ oder „sehr oft“.

Auf die Frage, welche Aspekte die meiste Überlastung herbeiführen würden, nannten damals 82 Prozent den hohen bürokratischen Aufwand, 78 Prozent den Personalmangel, 77 Prozent die psychische Belastung und 53 Prozent die Ressourcenknappheit als „sehr“ oder „eher belastend“.

Mehr als die Hälfte (54 Prozent) hat auch zumindest einmal darüber nachgedacht, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, 31 Prozent haben eine solche bereits in Anspruch genommen. „Ich gehe auf Basis der Umfrage der Medizinischen Universität Wien davon aus, dass diese Zahlen inzwischen nicht besser geworden sind“, so Gingold, der ebenfalls ein „rasches“ Handeln seitens der Arbeitgeber und der politisch Verantwortlichen fordert.

Gemeinsames Maßnahmenpaket gefordert

Sowohl die Ärztekammer als auch der Betriebsrat der Medizinischen Universität Wien fordern daher ein umfassendes Maßnahmenpaket mit fünf konkreten Forderungen, um so de Situation in den Wiener Spitälern „eiligst“ zu verbessern:

  • „Wir fordern eine Attraktivierung der Arbeitsbedingungen. Dazu gehören unter anderem flexiblere und individuelle Arbeitszeiten, bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie eine marktgerechte Anpassung und damit einhergehende Erhöhung der Gehälter.

  • Wir fordern mehr medizinisches Personal, damit wir wieder mehr Zeit für die Patientenbetreuung und im Fall der Medizinischen Universität Wien auch mehr Zeit für Lehre und Forschung zur Verfügung haben.

  • Wir fordern mehr Investitionen in die Infrastruktur, damit wir eine Arbeit entsprechend dem neuesten Stand der Wissenschaft verrichten können. Wir brauchen bessere EDV-Ressourcen und mehr beziehungsweise besser ausgestattete Räume zum Arbeiten.

  • Wir fordern mehr Zeit für Ausbildung, damit sowohl Ausbildende als auch Auszubildende mehr Zeit füreinander haben und damit der bestmögliche Wissenstransfer ermöglicht wird.

  • Wir benötigen mehr qualifiziertes Unterstützungspersonal, damit wir uns auf die Medizin konzentrieren und den hohen bürokratischen Aufwand vermindern können.“

Szekeres ergänzt das Forderungspaket mit einem konkreten Appell an Arbeitgeber und politisch Verantwortliche: „Ich fordere alle Beteiligten auf, raschest alle notwendigen Prozesse und Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation unserer Kolleginnen und Kollegen in den Spitälern einzuleiten. Wir haben immer weniger Zeit und der Druck wird immer größer.“ Die Pandemie sei ebenfalls noch nicht vorbei, und „der Herbst sowie Winter werden hart, deswegen sollte man keine Zeit verlieren“.

Ihre Gesprächspartner:

Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres
Präsident der Österreichischen und Wiener Ärztekammer
Telefon: 0664/2243929
E-Mail: mmmc3pla2VyZXNAYWVrd2llbi5hdA== 

Dr. Gerald Gingold
Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien
Telefon: 0664/9697501
E-Mail: mmmZ2luZ29sZEBhZWt3aWVuLmF0

Ass.-Prof. Dr. Johannes Kastner
Vorsitzender des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal der Medizinischen Universität Wien
Telefon: 0699/10060667
E-Mail: mmmam9oYW5uZXMua2FzdG5lckBtZWR1bml3aWVuLmFjLmF0

 

Kontakt für Journalisten-Rückfragen:

Ärztekammer für Wien, Mag. Alexandros Stavrou
Telefon: 01/515 01-1224 DW, 0664/34 68 309, Fax: 01/512 60 23-1224
E-Mail: mmmc3RhdnJvdUBhZWt3aWVuLmF0
online-Medienservice der Ärztekammer für Wien: www.aekwien.at