null Sofortmaßnahmen zur Rettung der Wiener Spitäler: Wiener Ärztekammer fordert Rückkehr- und Bleibeprämie

Sofortmaßnahmen zur Rettung der Wiener Spitäler:  Wiener Ärztekammer fordert Rückkehr- und Bleibeprämie

„Die Wiener Ärztekammer fordert eine Rückkehr- und Bleibeprämie für alle in Wiener Spitälern angestellten Gesundheitsberufe, um der akuten Personalnot Einhalt zu gebieten und nicht länger Menschenleben zu gefährden.“

Nach mehreren Monaten der Gesprächsverweigerung des Wiener Gesundheitsverbundes (WiGev) und der Stadt Wien hat sich die Wiener Ärztekammer dazu entschlossen, sich mit dem ersten Teil des „10-Punkte-Plans zur Rettung der Wiener Spitäler“, den Sofortmaßnahmen, an die Öffentlichkeit zu wenden.

„Mehr als zwei Monate hinweg ist es dem Management des WiGev, trotz mehrfacher Kontaktversuche seitens der Ärztekammer, nicht gelungen, einen Termin mit uns zu vereinbaren. Ich frage mich, wie dieses Management in der Lage sein soll, die Probleme in Wiens Spitälern, die nicht abreißen und massives menschliches Leid erzeugen, zu lösen“, zeigt sich Stefan Ferenci, geschäftsführender Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, enttäuscht.

24.000 Euro für die Heldinnen und Helden der Pandemie

Nach Vorschlag der Wiener Ärztekammer soll eine Rückkehr- und Bleibeprämie für alle in Wiener Spitälern angestellten Gesundheitsberufe als Sofortmaßnahme weitere Personalabgänge verhindern und ausgeschiedene Kolleginnen und Kollegen sowie Pflegepersonal wieder zur Rückkehr ins Spital bewegen. Konkret sollen 24.000 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei an alle Angehörigen von Gesundheitsberufen ausbezahlt werden, die die Wiener Spitäler in den letzten fünf Jahren verlassen haben, wenn sie sich dazu verpflichten, zukünftig zwei Jahre hindurch in einem Wiener Spital zu arbeiten. Eine Prämie in derselben Höhe fordert die Wiener Ärztekammer für alle, die die Wiener Spitäler in den letzten Jahren am Laufen gehalten haben, auch wieder unter der Voraussetzung einer zweijährigen Verpflichtung, in einem Wiener Spital weiter zu arbeiten.

„Wir hören aktuell von Stationen, die kurz vor der Schließung stehen, weil beispielsweise statt 20 Pflegerinnen und Pflegern nur noch vier aktuell dort beschäftigt sind. Oder von Chirurginnen und Chirurgen, die selbst die OP-Tische instrumentieren müssen, weil keine OP-Pflegerinnen und Pfleger da sind und sonst wichtige Operationen abgesagt werden müssten. Ich erlebe in meiner Arbeit selbst jeden Tag, was es bedeutet, wenn man das öffentliche Gesundheitswesen einfach finanziell ausbluten lässt: monatelange Wartezeiten auf Operationen, Unterbringung von teils schwer kranken Menschen in Gangbetten, fachfremde Betreuung, weil aufgrund des Mangels an Pflegepersonen beispielsweise statt Pflegepersonal einfach Ergotherapeuten oder Diätassistentinnen eingesetzt werden. Das ist Patientengefährdung. Wenn wir jetzt kein Geld in die Hand nehmen, um die Personalflucht aus Wiens Spitälern zu stoppen, wird das Managementversagen des WiGev bald auf Kosten von Menschenleben gehen“, ergänzt Eduardo Maldonado-González, stellvertretender Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien und selbst an der Klinik Donaustadt als Internist beschäftigt.

Bleibeprämie kostet maximal 675 Millionen Euro

Wie hoch die Kosten für die Rückkehrprämie ausfallen, hängt von der Anzahl an Personen ab, die den Schritt zurück in ein Spital gehen. Die von der Wiener Ärztekammer kalkulierten Kosten der Bleibeprämie belaufen sich auf maximal 675 Millionen Euro. In den Wiener Spitälern arbeiteten im Jahr 2021 laut Gesundheitsberuferegister in etwa 16.700 Personen in der Gesundheits- und Krankenpflege, rund 4.700 als Angehörige der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (bspw. Ergotherapie, Physiotherapie etc.) und laut Zahlen der Ärztekammer Wien rund 8.100 Ärztinnen und Ärzte. In Summe arbeiten somit großzügig aufgerundet 30.000 Angehörige der unterschiedlichen Gesundheitsberufe in den diversen Wiener Krankenanstalten.

Unter der Annahme einer Teilzeitquote von 25 Prozent und einer durchschnittlichen Stundenanzahl der Teilzeitbeschäftigten von 30 Stunden pro Woche reduziert sich die Anzahl der Angehörigen der unterschiedlichen Gesundheitsberufe auf circa 28.100 Vollzeitäquivalente. „Die kalkulierten Kosten der Bleibeprämie belaufen sich somit auf maximal 675 Millionen Euro. Unter der Annahme, dass die Prämie nur dann vollständig schlagend wird, wenn die Beschäftigten auch tatsächlich zwei Jahre im Wiener Spitalswesen arbeiten, entstehen Kosten in Höhe von 337,5 Millionen Euro pro Jahr.

„Uns ist bewusst, dass dieser Betrag budgetär veranschlagt werden muss. Deshalb war es uns auch ein Anliegen, die Verhandlungen mit dem WiGev bis zum Sommer abzuschließen, um Zusatzkosten für die Rettung des öffentlichen Gesundheitssystems jedenfalls auch im Finanzausgleich zu berücksichtigen“, erklärt Ferenci.

Das Argument, dass es an der Finanzierung scheitern würde, lässt Ferenci aber ohnehin nicht gelten. „Wenn man sich ansieht, dass in den letzten drei Jahren zig Milliarden Euro an COVID-19-Förderungen – bei Weitem nicht nur an notleidende Betriebe – ausbezahlt wurden, erscheinen die 675 Millionen Euro für die viel beklatschten Heldinnen und Helden der Pandemie im Vergleich dazu wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Das muss uns ein funktionierendes Gesundheitssystem wert sein“, ist Ferenci überzeugt.

Marktkonforme Gehälter und Zulagen für Mangelfächer

Neben einer Rückkehr- und Bleibeprämie hat die Wiener Ärztekammer eine Reihe weiterer Forderungen erarbeitet, um die Personalflucht aus Wiens Spitälern zu stoppen.

„Wir fordern mit Nachdruck eine Besetzung sämtlicher offener Dienstposten durch eine Anwerbe- und Rückholoffensive. Dazu braucht es marktkonforme Gehälter, die Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste, Rufbereitschaften und die körperlich sowie emotional belastende Spitalstätigkeit adäquat abgelten. Andere Bundesländer machen das ja bereits vor. Wenn Wien hier nicht nachzieht, wird der Druck aufs öffentliche System in Wien weiter steigen, weil die ohnehin schon bestehende Personalflucht sich noch verstärken wird“, bedauert Maldonado-González.

Ein Problem seien auch die akuten Mangelfächer in den Wiener Spitälern. „Gerade in meinem Fach, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, gibt es einen massiven Personalmangel, insbesondere in den Spitälern, der eine medizinisch adäquate Behandlung in vielen Fällen verunmöglicht. Mir sind Fälle bekannt, wo Kinder mit ihren Eltern in akuten Krisensituationen das Spital aufgesucht haben und einfach wieder heimgeschickt wurden. Ich kenne die Verzweiflung dieser Familien aus der Praxis allzu gut. Es ist mir unbegreiflich, wie eine sozialdemokratisch geführte Stadtregierung so etwas über Monate und Jahre hinweg zulassen kann“, so Ferenci.

Um hier gegenzusteuern, brauche es substanzielle Zulagen für akute Mangelfächer in den Wiener Spitälern, wobei die Definition eines Mangelfachs in den Wiener Spitälern zwischen Stadt, Spitalsträgern und Ärztekammer einvernehmlich festzulegen sei.

Herstellung von Dienstplansicherheit

Neben mehr Geld fürs System müsse man aber auch an einer Reihe anderer Stellschrauben drehen. „Die Beschäftigten im Gesundheitswesen wollen nicht mehr auf Kosten der eigenen Gesundheit Opfer für ein schlecht aufgestelltes System bringen. Ständiges Einspringen, pausenlose Überstunden – das hält niemand lang durch, schon gar nicht in einem emotional hoch belastenden Beruf, wie es die Gesundheitsberufe nun einmal sind. Daher fordern wir die Etablierung externer Pooldienste zur Herstellung von Dienstplansicherheit, solange der Personalmangel akut ist“, sagt Ferenci.

Um Dienstplansicherheit zu gewährleisten, brauche es jedenfalls eine rechtzeitige Nachbesetzung bzw. überlappende Besetzung von geplanten und absehbaren Personalabgängen, wie zum Beispiel durch Pensionierungen oder Schwangerschaften. „Es kommt immer wieder zu monatelangen Leerläufen, weil es dem Management offenbar nicht gelingt, vorausschauend zu planen und Übergänge vorzubereiten bzw. den entsprechenden Wissenstransfer rechtzeitig sicherzustellen. Für uns, die wir täglich im Spital arbeiten, ist es unverständlich, wie man sich bei den bestehenden Personalproblemen auch noch solche handwerklichen Fehler leisten kann“, kommentiert Maldonado-González die Forderung.

Anreize schaffen, Wertschätzung leben

Oft geht es aber nicht nur um die großen Hebel, sondern man kann auch mit vergleichsweise kleineren Maßnahmen viel bewirken. „Die Kolleginnen und Kollegen erzählen uns ganz oft von mangelnder Wertschätzung und fehlenden Anreizen. Hier könnte man leicht gegensteuern, ohne dabei das Rad neu erfinden zu müssen,“ so Ferenci.

Ein Beispiel sei die Anrechnung aller Vordienstzeiten als Ärztin bzw. Arzt unabhängig vom Dienstgeber und Dienstort, also Spitalsträger, Ordination oder Tätigkeit im Ausland, oder das vermehrte Zulassen freiberuflicher Tätigkeiten im Spital, zum Beispiel in Form von Konsiliararzttätigkeiten. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die kündigen möchten, brauche es Off-Boarding-Gespräche mit dem Ziel, diese im Betrieb zu halten bzw. die Kündigungsgründe zu erfahren und zukünftig gegenzusteuern.

„All diese Punkte hätten wir gerne mit dem Wiener Gesundheitsverbund verhandelt. Die Sofortmaßnahmen wären laut unserem vorgeschlagenen Verhandlungsplan Ende März auf der Tagesordnung gestanden. Wäre der WiGev auf unseren Plan eingegangen, würden wir aktuell Punkt sechs unseres 10-Punkte-Plans zur Rettung der Wiener Spitäler verhandeln. Stattdessen müssen wir erneut den Weg in die Öffentlichkeit suchen, weil uns Gespräche auf Augenhöhe verwehrt werden. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen und vor allem die Patientinnen und Patienten leiden unterdessen weiter“, schließt Ferenci.